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Buchkritik «Partisanenpfade im Piemont»

Auf den Wegen des Widerstands

6. Juni 2012 | In Turin und den benachbarten Bergregionen kämpften Tausende gegen Faschismus und Nationalsozialismus. Ein Wanderlesebuch erzählt ihre Geschichten.


Titelblatt «Partisanenpfade im Piemont»Seit über zwanzig Jahren erkunden Sabine Bade und Wolfram Mikuteit die Berge des Piemonts. Sie haben über ein halbes Dutzend Wanderbücher über die Region verfasst, unterhalten eine Westalpen-Website und haben nun ein Buch geschrieben, das sie bei ihren ersten Touren «selber gern dabeigehabt hätten», wie Bade an der Buchvernissage vor drei Wochen in Konstanz sagte.

Es sei ein «Reisebuch, Wanderbuch und Geschichtenbuch», erläuterte Bade – und stapelte damit etwas tief: «Partisanenpfade im Piemont» ist auch ein politisches Buch. Es beschreibt die zwanzig Monate des antifaschistischen Widerstands in der piemontesischen Bergregion von September 1943, als die deutsche Wehrmacht Norditalien besetzte, bis zur Kapitulation im April 1945. Es setzt die damaligen Geschehnisse mit knappen Worten in einen Kontext (die Machtübergabe an Benito Mussolini 1922, die zunehmende Repression, Mussolinis Entmachtung und spätere Befreiung durch die Nazis 1943, der Terror der deutschen Truppen). Und es schildert in vielen aufschlussreichen Kapiteln und «Themensplittern» den Widerstand der kleinen Leute – der Alten, die sich schon früh der Faschisierung der italienischen Gesellschaft widersetzt hatten, wie der Jungen, die nur den Faschismus kannten.

Die Giellisti

Es war eine bunte Truppe, die von den Bergen aus (aber auch in der Industriestadt Turin) gegen die italienischen Faschisten und die deutschen Nazis kämpfte: Kommunisten und Liberale, Sozialistinnen und Monarchisten, Katholikinnen und Atheisten. Zu den Organisationen, die sich im Nationalen Befreiungskomitee CLN zusammengeschlossen hatten, gehörten freilich auch die Giellisti – AntifaschistInnen, die der Bewegung Giustizia e Libertà nahestanden. Über diese Gruppierung liest man im deutschsprachigen Raum selten etwas; dabei stellte sie im Piemont die zweitstärkste PartisanInnenfraktion. Die Giellisti und ihr 1942 gegründeter Partito d'Azione (PdA) hatten nicht nur die Beseitigung des Faschismus zum Ziel: Sie wollten auch die Gesellschaft und den Staat von Grund auf erneuern und waren in mancherlei Hinsicht radikaler als die Kommunistische Partei.

Eine von denen, die die PdA mitgegründet hatten, war Ada Gobetti, eine junge Mutter und frühe Witwe, die zwischen Turin und den von den PartisanInnen dominierten Tälern pendelte, Unterlagen und Informationen transportierte, Ausweise fälschte, Flugblätter schrieb, alliierten Kriegsgefangenen zur Flucht verhalf und später ihr Tagebuch («Diario partigiano») veröffentlichte. Dass Bade und Mikuteit das Engagement dieser Partisanin – die nie einen Schuss abfeuerte – ausgiebig würdigen, ist eines der vielen Highlights ihres Buchs.

Sie setzen auch anderen ein kleines Denkmal. Dem Arzt Attilio Bersano Begey zum Beispiel, der im oberen Viùtal eine requirierte Villa zu einem Spital für verletzte Partisaninnen ausbaute und später, als die deutschen Einheiten vorstiessen, auf knapp 2400 Metern eine weitere Pflegestation einrichtete. Oder den protestantischen WaldenserInnen von Torre Pellice, die sich die Aussage des Schweizer Theologen Karl Barth zu eigen machten, der 1938 schrieb: «Es gibt unter Umständen eine (…) göttlich geforderte Resistenz gegen die politische Macht, eine Resistenz, bei der es (…) auch darum gehen kann, Gewalt gegen Gewalt zu setzen.»

23 Touren

«Partisanenpfade im Piemont» ist ein Wanderlesebuch zum Mitnehmen: Die 23 Tourenvorschläge (vom Stadtrundgang in Turin bis zu Wanderungen auf 3000 Meter hohe Pässe) enthalten alle wesentlichen Informationen: anschauliche Karten, Übernachtungsmöglichkeiten, Einkehrorte, Preisangaben, Hinweise auf lohnenswerte Museen und andere Tipps. Hervorragend sind auch Mikuteits Fotos und das historische Bildmaterial.

Selbst die aktuellen Kämpfe haben die AutorInnen nicht vergessen: Sie beschreiben mit viel Sympathie den breiten Widerstand im Val di Susa gegen ein verkehrspolitisch unsinniges, ökologisch schädliches und ökonomisch fragwürdiges Schnellzugtrassee. Das Susatal war einst PartisanInnengebiet gewesen – und das wissen die Menschen in den Dörfern offenbar noch heute. (pw)