↑ home
zur Übersicht ↑ andere Länder
Andere Länder: So geht gute Kommunalpolitik
Vorbild Graz
11. Mai 2023 | Es war eine faustdicke Überraschung: Bei der Landtagswahl Ende April fuhr die KPÖ im österreichischen Bundesland Salzburg ein Ergebnis ein, das niemand für möglich gehalten hätte. Was lernen wir daraus?
«Wir werden an Stimmen gewinnen. Aber reicht das auch, um über die Fünfprozenthürde zu kommen?» Rainer Hackauf, einer der Pressesprecher der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ), blieb bis zuletzt skeptisch. Die Meinungsumfragen hatten zwar einen Trend nach oben prognostiziert, aber darauf verlassen wollte sich der bodenständige Wiener lieber nicht.
Was am Abend der Salzburger Wahl dann herauskam, übertraf nicht nur seine Erwartungen, sondern auch die aller seiner Genoss:innen: Die KPÖ von Salzburg, die bei der Landtagswahl 2018 noch auf 0,4 Prozent der Stimmen gekommen war, landete bei 11,7 Prozent – und in der Landeshauptstadt selber bei über 21 Prozent. Nur die Volkspartei ÖVP gewann in Salzburg-Stadt ein paar Prozentpunkte mehr.
Damit wiederholte sich im erzkonservativen Salzburg, was anderthalb Jahre zuvor – ebenfalls zur Überraschung aller – bei der Kommunalwahl in Graz geschehen war: Im September 2021 gewannen dort die Kommunist:innen mit fast 29 Prozent der Stimmen die Gemeinderatswahl und verfügen seither in der zweitgrößten Stadt Österreichs nicht nur über die stärkste Fraktion im Gemeindeparlament, sondern stellen mit Elke Kahr auch die Bürgermeisterin.
Zu Beginn das Thema Wohnen
Wohnen, wohnen, wohnen – das sei das Wahlkampfthema des Salzburger KPÖ-Spitzenkandidaten Kay-Michael Dankl gewesen, urteilte nach dem Erfolg die internationale Presse wie Die Zeit. Und in der Tat: «Wenn man für eine 70-Quadratmeter-Wohnung 1300 oder 1400 Euro zahlen muss, bleibt nichts fürs Leben übrig», argumentierte Dankl bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Und versprach, sich künftig darum zu kümmern. Damit traf der 36-jährige ehemalige Vorsitzende der Jungendorganisation der Grünen – die 2017 aus der grünen Partei geworfen wurden – offenbar einen Nerv.
Dass viele ihm sein Engagement abnahmen, hat freilich auch mit der beharrlichen Arbeit der KPÖ in der steirischen Landeshauptstadt Graz zu tun. Dort widersetzt sich die österreichweit eher unbedeutende Partei seit Jahrzehnten allen Privatisierungen (auch im Wohnungsbereich), organisierte schon früh einen Mieter:innen-Notruf, kämpfte erfolgreich für eine kommunale Mietbelastungsobergrenze und entwickelte das Konzept einer linken Wohnungspolitik. Angesichts der überall vorherrschenden Wohnungsnot «kann einerseits das Versagen des kapitalistischen Systems sehr deutlich vor Augen geführt werden», schrieb Ernest Kaltenegger in einem seemoz-Beitrag nach dem Grazer Wahlerfolg 2021, «andererseits kann Betroffenen oft wirksam geholfen werden».
«K wie Kahr und Kaltenegger»
Der 73-jährige Kaltenegger gehört zum Urgestein der steirischen KPÖ: Er sass ab 1981 lange Zeit als einziges Parteimitglied im Grazer Gemeinderat, wurde 1998, als die Zahl der KPÖ-Abgerdneten auf vier angewachsen war, in die proportional zusammengesetzte Verwaltumgspitze, den Stadtrat, gewählt – und war dort für das von den anderen Parteien verschmähte Wohnbauressort zuständig. Bei der steirischen Landtagswahl 2005 verhalf er als Spitzenkandidat der Partei erstmals seit 1970 wieder zum Einzug in den Landtag.
2009 schließlich, nach knapp drei Jahrzehnten in der parlamentarischen Politik, zog er sich in die zweite Reihe zurück – und überließ Elke Kahr das Feld, die von ihm 2005 das Referat für Wohnungsangelegenheiten übernommen hatte. Das K im Parteinamen, schrieb einmal die österreichische Tageszeitung Standard, stehe «vor allem für K wie Kahr und K wie Kaltenegger».
Es war jedoch nicht nur die Wohnungsnot und die linke Antwort darauf, die zum beeindruckenden Aufstieg der Grazer KPÖ beitrugen (2008 holte sie 11 Prozent, 2017 waren es 20 Prozent, 2021 schließlich 28,8 Prozent). Eine große Rolle spielten auch ihre Offenheit und Bündnisbereitschaft, ihre vielen Vorstöße und Initiativen – etwa im Gesundheitswesen (für das der junge KPÖ-Stadtrat Robert Krotzer zuständig ist), beim kommunalen Klimaschutz, bei der Unterstützung von Minderheiten und Migrant:innen, beim Widerstand gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur, in der kollektiven Erinnerung an den Faschismus. Sowie ihr Pragmatismus und ihre Prinzipientreue.
Offene Türen, offene Konten
So spenden die sogenannten Mandatar:innen, die Rät:innen und die Bürgermeisterin, einen Großteil ihrer Bezüge für einen Nothilfefonds. Wie einst die Abgeordneten der Pariser Commune 1871, dem ersten sozialistischen Großprojekt, verzichten sie auf alles, was den Durchschnittslohn übersteigt. Allein 2021 kamen auf diese Weise 200.000 Euro für Hilfsbedürftige zusammen. Zur Transparenz gehört auch der «Tag der offenen Konten», an dem jeweils zum Jahrewechsel dargelegt wird, wie viel die kommunistischen Mandatsträger:innen abgegeben haben.
Zudem sind dei Grazer Antikapitalust:innen stets erreichbar: Alle haben die Telefonnummern von Kahr und Kolleg:innen, und alle wissen, dass sie jeweils dienstags und donnerstags die Bürgermeisterin besuchen können – und zwar von morgens bis spätnachmittags.
Aber lässt sich das Grazer Beispiel einfach kopieren? Das glaube er zwar nicht, sagt beispielsweise der österreichische Politologe Manès Weisskircher, den die linke Schweizer Wochenzeitung WOZ befragte. Der Grazer Ansatz setze eine langfristige Arbeit voraus. Aber: «Man kann viel lernen.»
Viel lernen kann man zum Beispiel am Dienstag, den 16. Mai, in Lindau-Reutin (19.30 Uhr im Landgasthof «Köchlin»). Und am Mittwoch, den 17. Mai ab 19 Uhr im Treffpunkt Petershausen, Konstanz. An beiden Abenden berichtet Ernest Kaltenegger, der eigens für diese Veranstaltungen aus Graz anreisen wird, über seine Erfahrungen bei der Entwicklung des von ihm massgeblich geprägten Konzepts einer bürgernahen, offenen, sozialen Kommmunalpolitik von unten. (pw)