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Andere Länder: Brüssel kontra Schweizer Gewerkschaften
EU pocht auf Lohndumping
15. Februar 2019 | Auf Druck baden-württembergischer Unternehmen setzt die EU in Verhandlungen mit der Schweiz die Dauemschrauben an. Es geht um noch mehr Liberalisierung.
Kurz vor Weihnachten bekamen zehn Schweizer NGOs Post aus Brüssel: Sie würden ab 2019 kein Geld mehr von der EU erhalten. Bisher hatten Hilfswerke wie Ärzte ohne Grenzen, Solidar Suisse, Alliance Sud, Terre des hommes, Caritas auf Basis einer Konvention des Europarats jährlich 50 Millionen Euro von der Kommission erhalten. Doch damit sei es jetzt vorbei, schrieb die Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz – und machte für die Entscheidung eine «fehlende Rechtsgrundlage» geltend. Einen Zusammenhang mit den stockenden Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU um ein institutionelles Rahmenabkommen gebe es nicht. Doch genau das bezweifeln die Hilfswerke; laut Medienberichten Anfang Februar vermutet Mark Herkenrath, Geschäftsleiter von Alliance Sud, hinter dem Schritt «politische Ränkespiele».
Seit 2014 verhandeln die EU-Kommission und die Schweizer Regierung – der Bundesrat – über ein neues Rahmenabkommen, das die über hundert bilateralen Verträge ersetzen soll, die bisher die Beziehungen zwischen der EU und dem Nicht-EU-Land Schweiz regelten. Die EU will künftig neue Marktzugangsabkommen nicht mehr über Einzelverträge abschliessen – und die bürgerlichen Parteien der Schweiz zeigten sich nicht abgeneigt; jedenfalls plädieren sie für einen Abschluss des Vertrags. Doch die Gewerkschaften machen nicht mit. Bereits im Spätsommer 2018 legten sie ein Veto ein und stellten das Gespräch mit dem Bundesrat ein.
Der Grund dafür sind Bemühungen der EU, die sogenannten Flankierenden Maßnahmen einzudampfen, die der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) durchgesetzt hatte, um Lohndumping in der Schweiz zu verhindern. Sie waren eine Bedingung dafür gewesen, dass der SGB der Personenfreizügigkeit zustimmte: Alle EU-Staatsangehörigen und in der EU ansässigen Firmen bekommen Zugang – aber unter der Voraussetzung, dass sie die ortsüblichen Löhne zahlen. Um dies sicherzustellen, müssen Unternehmen eine achttägige Anmeldefrist beachten, wenn sie Beschäftigte zur Arbeit in der Schweiz entsenden, sie müssen Lohnkontrollen akzeptieren – und eine Kaution hinterlegen, mit der etwaige Geldstrafen beglichen werden, sollten sie die Regel «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» verletzen.
Diese Bedingungen störten vor allem süddeutsche Unternehmen, die seit langem lauthals eine Verkürzung der Anmeldefrist, geringere Kautionen und weniger Lohnkontrollen fordern. Bereits 2015 publizierte der baden-württembergische Handwerkstag ein Positionspapier zu den «bestehenden Hemmnissen bei der Auftragsabwicklung deutscher Handwerksunternehmen in der Schweiz»und beauftragten Anwälte, die in der Schweiz vorstellig wurden. Besonders hervorgetan hat sich dabei nach Informationen von Andreas Rieger der CDU-Europaparlamentarier Andreas Schwab. Laut Rieger, früher Co-Vorsitzender der größten Schweizer Gewerkschaft Unia und heute Vorstandsmitglied des Europäischen Gewerkschaftsbunds EGB, beklage sich Schwab immer wieder lauthals darüber, dass die Flankierenden Maßnahmen das Prinzip der Personenfreizügigkeit verletzen «und ein Übermaß an bürokratischer Arbeit schaffen» würden. So beschreibt es in Rieger in einer Analyse für den gewerkschaftsnahen Thinktank «Denknetz». MdEP Schwab ist übrigens seit einiger Zeit Chef der CDU Südbaden.
Dass die Unternehmen "Probleme haben" (so Schwab), ist unbestritten: Je nach Branche sind bei den rund 40.000 Lohnkontrollen, die 2017 vorgenommen wurden, zwischen 20 und 40 Prozent der Firmen dabei erwischt worden, dass sie ihren Beschäftigten weniger als den in der Schweiz üblichen Lohn bezahlten; vor allem die südwestdeutsche Bauwirtschaft ist dadurch aufgefallen, dass sie auf dem lukrativen Immobiliensektor die Schweizer Konkurrenz auf Kosten der eigenen Beschäftigten zu unterbieten versucht.
Nicht alle Handwerksbetriebe sehen das so. Es gibt auch Firmen, laut denen die Flankierenden Maßnahmen helfen, die Qualität gegen Dumpingangebote zu verteidigen und denen die achttägige Vorlauffrist hilft, sich gegen übertriebenen Termindruck zu wehren. Aber diese Stimmen fanden in der neoliberal orientierten EU-Kommission weniger Gehör. Sollte sich die EU in den Verhandlungen durchsetzen, «würde der Lohnschutz in der Schweiz in wesentlichen Bereichen grundlegend in Frage gestellt», schrieb kürzlich die Gewerkschaft Unia in einer Pressemitteilung. Und weiter: «Die vorgeschlagene Schwächung der Flankierenden Maßnahmen werden die Gewerkschaften nie akzeptieren.» Denn: «Wer die Flankierenden Maßnahmen preisgibt, stellt auch die Personenfreizügigkeit in Frage. Nur ein soziales Europa mit starken Arbeitnehmerrechten und Lohnschutz kann ein geeintes Europa sein.»
Mit dieser Position stehen die Schweizer Gewerkschaften übrigens nicht allein. Sie bekommen auch von einem Teil der Bevölkerung Rückendeckung – und vom EGB, dessen Generalsekretär Luca Visentini kürzlich zur Verteidigung der Flankierenden Maßnahmen aufrief: «Was hier passiert, ist Teil eines größeren Bilds. Wir wollen, dass innerhalb der EU – aber auch in Ländern wie der Schweiz, die durch spezielle Abkommen mit der EU verbunden sind – die Arbeiterrechte überall im gleichen Maß geschützt sind.» Sollte der Lohnschutz in der Schweiz durch einen neuen Vertrag mit der EU untergraben werden, «könnte das den Schutz auch in anderen Ländern schwächen. (…) Wir führen also einen gesamteuropäischen Kampf.»
Nur hat das hier noch niemand mitbekommen. (pw)